Depressionen und Massagen: Damien Rice am Kölner Tanzbrunnen

by - August 14, 2016


Damien Rice hat beim A Summer’s Tale Festival 2015 mein Konzert des Jahres gegeben. Lauer Sommerabend, ein muxmäuschenstilles Publikum, und ein einzelner Mann schaffte es, eine große (Haupt-) Bühne mit seinen Liedern und einer Vielzahl Instrumente komplett auszufüllen. Eine tolle Sache, und man hat normalerweise selten die Gelegenheit, Herrn Rice live zu sehen, denn er hat nur ein paar Auftritte pro Jahr.

Dieses Jahr scheint er die Dinge aber etwas anders anzugehen als früher, denn aktuell spielt Damien Rice eine ganze Reihe von Konzerten in Europa. Dennoch weiß man natürlich nie, wie lange der Konzertsegen anhält, also kauften wir uns Tickets für sein Augustkonzert am Kölner Tanzbrunnen, obwohl für den folgenden Tag die Reise zum zweiten "A Summer's Tale" in die Lüneburger Heide anstand.


Noch Tage vorher hätte man mit einem sommerlichen Freiluftkonzert ganz ähnlich zum letzten Jahr rechnen können. Tatsächlich hielt in der Woche dann spontan der Herbst Einzug, und auch wenn man am Kölner Rheinufer nicht direkt frieren musste, war die Stimmung bei Nieselregen, vor dem die seltsamen „Sonnenschirme“ des Tanzbrunnen-Areals nicht effektiv schützen konnten, eine völlig andere. Außerdem war es sehr voll, so dass wie von unseren Stehplätzen aus die Bühne nicht vollständig sehen konnten.

Dort trat zunächst Hanna Leess auf. Wenige Minuten vor unserer Abfahrt Richtung Köln hatte ich noch schnell ihre Website gecheckt und gelesen, dass sie in Berlin lebt, offenbar ihre Herkunft verschweigt (ihre Muttersprache ist auf jeden Fall nicht Deutsch) und anscheinend schon viel in den USA gemacht hat. Bezüglich der Musik, die uns nun erwartete, ließ das kaum Rückschlüsse zu. Tatsächlich trat Leess mit Band auf und sang eine Art anstrengend überemotionalen Blues, der uns überhaupt nicht gefiel. Während mein Freund auf der Hinfahrt noch die Hoffnung geäußert hatte, Damien Rice könnte seine Duette, für die ihm bei Einzelauftritten sonst die weibliche Stimme fehlt, ja seine Vorband um Hilfe bitten, revidierte er das nun sehr schnell: Dieses tonlose Gekrächze mochte man sich in einem Damien Rice-Lied kaum vorstellen.


Anschließend wurde die Bühne für Damien Rice vorbereitet. Neben diversen Instrumenten, inklusive des Harmoniums, das wir bereits letztes Jahr in Aktion gesehen hatten, wurde auch, wohl als reine Dekoration, eine Teekiste auf die Bühne getragen, auf der eine Whisky- und eine Weinflasche platziert und angestrahlt wurden.

Nach kurzer Wartezeit kam dann auch Damien Rice zu Violinenmusik auf die Bühne und begann sein Set mit „The Professor & La Fille Danse“, einer frühen, recht unbekannten Single-B-Seite. Dessen Textpassagen (beispielsweise „Loving is good if your dick’s made of wood“) lösten im Publikum verhaltene Lacher aus. Das Lied kulminierte in einer schier endlos gesungenen Note, was zum ersten großen Applaus führte.


Nach „Delicate“ folgte „Long Long Way“, bei dem das Harmonium zum Einsatz kam. Der Anfang baute Klänge aus dem irischen Volkslied „She Moved Through the Fair“ (besser bekannt als Simple Minds „Belfast Child“) ein, und Rice loopte auch erstmalig seine Stimme. Das Lied endete in einer Krachorgie, die ich herkunftstechnisch nicht wirklich zuordnen konnte – normalerweise entstehen diese Steigerungen ja durch das Loopen immer neuer Passagen übereinander, was dann irgendwann recht laut wird. In diesem Fall kam alles sehr plötzlich.

Anschließend sprach Damien Rice zum ersten Mal: Er sagte, manche würden Geld für eine Massage ausgeben, damit sie sich entspannt und besser fühlen. Andere kauften stattdessen Konzertkarten und sähen sich den Auftritt eines Typen an, von dem sie hinterher sagen könnten: „Der ist viel depressiver als ich!“. Eine einzelne weibliche Stimme rief darauf, sie hätte gerne eine Massage.


Ohne zunächst darauf einzugehen, spielte Damien Rice als nächstes „Accidental Babies“ (auch hier gab es einen Lacher bei der Textzeile „Leave him for me before one of us has accidental babies“), das in Loopen und Geschrei kulminierte.

Anschließend sagte Rice: „Time for a happy song. I’m sure I have a happy song“. Auf eine unverständliche Bemerkung aus dem Publikum, die das vermutlich anzweifelte, entgegnete er „I think Amie is happy.“ Vor diesem Lied folgte zunächst jedoch „Coconut Skins“. In „Amie“ gab es eine lange Passage, in der die Textzeilen „you and me“ und „change“ wiederholt wurden.


Nun kündigte Rice „I don’t want to change you“ an. Letztes Jahr hatte er zu diesem Lied erklärt, es sei sein einziges echtes Liebeslied, in dem es nicht um egoistische Bedürfnisse ginge. In Köln erklärte er den Song etwas anders, er meinte, er finde sowohl bei sich als auch bei anderen immer Dinge, die ihn störten und die er ändern wolle, und dieses Lied sei auch am Ende einer gescheiterten Beziehung geschrieben worden (er erwähnte, am Anfang einer Beziehung sei man beispielsweise ein Apfel und am Ende Apfelscheiße), aber eben mit dem Gefühl, alles seit gut so, wie es ist. Der Song selbst stach dann dadurch aus dem restlichen Set hervor, dass er schlicht und akustisch, ganz ohne Loopen, Verfremdungen oder Echos, vorgetragen wurde.

Die nächste Geräuschorgie folgte aber auf dem Fuße in „I Remember“. Nach „The Blower’s Daughter“, als Rice nochmals mit dem Publikum sprach, meldete sich nochmals die Dame zu Wort, die vorher die Massage gefordert hatte: „What about my massage?“ Rice loopte darauf auf der Bühne zunächst ein leises „What about my massage“ mit ein paar Gitarrenklängen, das in Endlosschleife lief, dann sprang er ins Publikum und lieferte offenbar die Massage aus.


Mit „It Takes A Lot To Know A Man“ endete der offizielle Teil der Setliste. Wie wir es bereits im Vorjahr gesehen hatten, dehnte Rice den Song auf Maximallänge aus, loopte auf der in rotes Licht getauchten Bühne nach und nach Gesang, Gitarre, Schellen, Klarinette, E-Gitarre und Schlagzeug, so dass der Klang Schicht um Schicht immer lauter wurde – bis das Lied am Ende wieder abebbte und der Künstler die Bühne verließ.

Das Publikum forderte natürlich eine Zugabe, und tatsächlich betrat Rice nun, wie befürchtet, mit der Vorband die Bühne und erklärte, man müsse aufgrund der Sperrstunde pünktlich Schluss machen, er werde also möglichst schnell machen. Sein Duett mit Hanna Leess, „Volcano“, war dann aber doch recht schön und ging über in eine Kurzversion von Princes „When Doves Cry“ – das wir erst wenige Tage zuvor auch von Patti Smith gehört hatten.

Angesichts der Bemerkung zur Sperrstunde war im Grunde klar, dass anschließend nichts mehr folgen würde, dennoch klatschte und johlte das Publikum noch lange weiter.


Ganz so beeindruckend wie im Vorjahr fand ich dieses Konzert nicht: Damals konnte ich besser sehen, es nieselte nicht und im Publikum herrschte beeindruckende Stille - all diese Bedingungen waren in Köln schlechter. Auch Rices Technik, mittels Loop-Effekten quasi sein eigenes Orchester zu schaffen, beeindruckt noch mehr, wenn man sie das erste Mal erlebt. Nichtsdestotrotz ein toller Künstler, den zu sehen sich lohnt, vor allem, wenn er die Setliste so stark variiert, dass
nur die Hälfte mit dem letztjährigen Konzert übereinstimmt.


Setliste:

The Professor & La Fille Danse
Delicate
Long Long Way
Accidental Babies
Coconut Skins
Amie
I Don’t Want To Change You
I Remember
The Blower's Daughter
Color Me In
It Takes a Lot to Know a Man

Volcano / When Doves Cry









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