Neulich unter der Autobahn: Moderat im römischen Ex Dogana

by - Juli 16, 2017


Moderat stellten am späten Freitagabend den zweiten Flügel unseres römischen Konzerte-Triptychons (nach The xx) dar. Dass ein Konzert stattfinden würde, hatte man bereits vor Monaten lesen können, allerdings keine weiteren Details, insbesondere gab es zum Veranstaltungsort "Ex Dogana" quasi keine Informationen im Netz.

Das änderte sich jedoch, als ich das Event bei Facebook fand und dort zusagte (damit macht man sich selbst natürlich sehr "gläsern", aber ich finde es praktisch, wenn die Termine dann automatisch korrekt auch im Google-Kalender landen).  Die Veranstalter posteten nämlich in der Woche vor dem Termin mehrmals täglich, natürlich auf Italienisch, und in mir wuchs der Verdacht, dass der Vorverkauf vielleicht nicht allzu gut lief.


Als wir dann am Freitagabend - der Konzertbeginn war im auf Facebook veröffentlichten Zeitplan für 22 Uhr angesetzt, wobei hinterher bis 6 Uhr morgens noch mehrere DJ-Sets folgen sollten - per U-Bahn anreisten, stellte sich das Veranstaltungsgelände als ehemaliges industrielles Areal heraus, auf dem nun mehrere Flächen für kulturelle Zwecke zur Verfügung stehen. Auf dem Fußweg zum richtigen Eingang begegneten wir massenweise jungen Leuten, so dass wir die Einschätzung von wegen schlechtem Kartenverkauf schnell revidieren mussten.

Hier, bei Ex Dogana, findet auch eine Konzertreihe statt, in deren Rahmen an verschiedenen Abenden Bands auftreten - ähnlich wie bei Rock in Roma. Bei "Viteculture" hätte man unter anderem Primal Scream sehen können - sicherlich auf derselben Freilichtbühne, die wir nun, nach dem Eintreten sahen.1  Zu unserer Überraschung konnte man direkt darüber mehre Schnellstraßen sehen, auch Züge fuhren hier entlang.


Während wir offenbar direkt vor dem großen Ansturm eingetroffen waren und noch zügig Massen von Barrieren passiert hatten, füllte sich der Open Air-Bereich nun rapide. Leider führte das vor der Bühne zu massivem Gedrängel. Wir waren nicht nur sichtlich die ältesten Konzertbesucher - nur wenige schienen die 30 überschritten zu haben - wir waren auch weit und breit die einzigen, die nicht kifften. Leider machte das die anderen auch nicht ausgeglichen-ruhig, sondern nur noch redseliger.

Blöderweise stimmte der bei Facebook gepostete Zeitplan so nicht. Zwar standen ab 20 vor 10 alle gespannt vor der anscheinend fertig vorbereiteten Bühne, von der Band war jedoch nichts zu sehen - diese erschien erst 20 Minuten nach dem angekündigten Beginn.


Moderat sind bekanntlich eine Zusammenarbeit des Musiker- und DJ-Projekts Modeselektor sowie des Solokünstlers Apparat. Erst in der Wartezeit erkannte ich, dass ich, obwohl ich durchaus Musik des Projekts kenne und mag, keine Ahnung hatte, wie viele Musiker eigentlich bei Modeselektor waren, und wer da gleich überhaupt die Bühne betreten würde. Immerhin erkannte ich sofort Sacha Ring alias Apparat, den ich vor Jahren bereits einmal live gesehen hatte.

Links und rechts positionierten sich Gernot Bronsert und Sebastian Szary hinter diversen elektronischen Geräten (Modeselektor sind nämlich ein Duo), während Sascha Ring sich an das in der Mitte stehende Mikrophon begab, bei drei Songs zur Gitarre griff und sich gelegentlich zu anderen elektronischen Instrumenten zurückzog.


Nach einem kurzen Intro zeigten "Ghostmother" und "A New Error", wie textsicher die italienischen Fans waren, und wie sehr sie sich für Moderat begeistern konnten. Vor uns wurde gar mit einer Deutschlandfahne gewedelt. Der vorhandene Platz vor der Bühne wurde auf schier unerträgliche Weise immer kleiner. Meine vorherige Wahrnehmung, dass Italiener ein ausgesprochen respektvolles Konzertpublikum darstellen, musste an diesem Abend revidiert werden.

Dass es bei elektronischen Band nicht selten vorkommt, dass auf Remixe zurückgegriffen wird, zeigte uns das folgende "Running", sowie später noch "Eating Hooks" - hier folgte jeweils direkt auf den Song der zugehörige Remix. Da es keine besonders ausgeprägte Bühnenshow der drei Musiker gab, nur Gernot Bronsert animierte gelegentlich zum Mitklatschen, wurden viele Titel durch Videos untermalt. Wir sahen in Zeitlupe zerberstende Steine, Großaufnahmen von Händen, die ganz passend an Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle erinnerten, ins Blickfeld rasende Buchstaben und vieles mehr.


Kommuniziert wurde nicht besonders viel: Für das italienische "Mille Grazie" erhielt Ring, der diesen Part für alle übernahm, extra viel Applaus, sein zweifaches deutschsprachiges "Dankeschön" wurde aus dem Zuschauerraum mit einem "Ich bin ein Kartoffel!" beantwortet, was zumindest einige Lacher einbrachte.

Das Set konzentrierte sich hauptsächlich auf das erste und dritte Album von Moderat, "II" wurde passenderweise nur mit zwei Songs berücksichtigt, dazu gesellte sich mit "Abandon Window" noch eine Jon Hopkins-Coverversion. Nach dem Song "No. 22" verließen Sebastian und Sascha die Bühne, und Gernot tat so, als blicke er sich unwissend und suchend um, begann dann aber allein, das Set mit "Milk" fortzusetzen. Im Verlauf des zehnminütigen Songs kehrten auch die beiden anderen wieder an ihre Arbeitsplätze zurück.


Einen gesonderten Zugabenblock gab es nicht, Moderat beendeten ihr Set mit dem viel umjubelten "Bad Kingdom", welches visuell von den für die Band typischen Grafiken untermalt wurde, und "Intruder", bei dem auch Gernot Bronsert Gesang beisteuerte.

Mir wurde das Gedrängel vor der Bühne irgendwann zu unangenehm, so dass ich versuchte, weiter nach hinten zu kommen - wo ich dann überrascht feststellte, dass das gesamte Gelände mittlerweile rappelvoll war - so richtig allein konnte man nirgendwo stehen.


Nach Ende des Sets beschlossen wir, nicht bis 6 Uhr morgens weiter zu feiern, sondern begaben uns wie viele andere Richtung Ausgang. Dabei passierte man im inneren Bereich einen offiziellen Merchandise-Stand mit Band-T-Shirts, der quasi verwaist war, während direkt vor dem Veranstaltungsgelände inoffizielle Shirts für 15 Euro an einem sehr professionell wirkenden Stand reißenden Absatz fanden.

Fazit: Selten habe ich mich bei einem Konzert so alt gefühlt. Musikalisch gefiel mir der Auftritt gut, litt aber durch das Gedrängel und die damit verbundene Hitze. Gut, dass unser letztes römisches Konzert mit U2 und Noel Gallagher (Hauptteil des Konzert-Triptychons) für unsere Altersgruppe zugeschneidert sein wird.

Setliste:

(Intro)
Ghostmother
A New Error
Running
Running (Remix)
Abandon Window (Moderat remix) (Jon Hopkins cover)
Eating Hooks
Eating Hooks (Siriusmo Remix)
Rusty Nails
Reminder
Animal Trails
Les Grandes Marches
Nr. 22
Milk
Bad Kingdom
Intruder

1 Mit "Villa Ada Roma Incontra il Mondo - Villaggi Possibili" hat Rom parallel sogar noch ein drittes Festival dieser Art.

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