Neulich beim ersten von vielen: Das Cologne Popfest im Kölner Blue Shell

by - April 24, 2018


So ziemlich das einzige, wegen dem ich mir ein wenig cooler vorkomme als andere Menschen meines Alters, ist die Tatsache, dass mein Freund und ich gelegentlich bei uns Zuhause Konzerte veranstalten. Allerdings sind wir in diesem Bereich letztes Wochenende gründlich übertrumpft worden, denn unser Bekannter vom Konzerttagebuch setzte mit sieben Mitstreitern den gewagten Plan um, in Köln ein kleines Festival zu veranstalten. Mit acht Bands!


Nachdem wir den Freitag komplett verpasst hatten, begaben wir uns erst am zweiten Tag an den Ort des Geschehens, das Blue Shell in Köln Sülz, das ich gut aus meiner Jugend kenne - wenn auch nur von außen. Ähnlich wie das in der Nachbarschaft liegende Luxor hat diese Bar eine für Konzerte etwas ungünstige Schlauchform: Wer es als Zuschauer nicht in eine der vorderen Reihen schafft, bleibt vor der Bar stecken und sieht so gut wie nichts von der Bühne. Obwohl die Veranstaltung ausverkauft war, ergatterten wir jedoch gute Stehplätze.

Die Veranstalter hatten sich sichtlich Mühe gegeben, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, davon zeugten nicht nur die liebevoll gestaltete Wimpelkette hinter der Bühne und die originelle Papier-Eintrittskarte, sondern auch selbst designter Merchandise in Form von Buttons, Tassen und Jutebeuteln sowie die Tatsache, dass uns kurz nach dem Eintreffen Kuchen angeboten wurde.


Die erste Band, die wir zu sehen bekamen, waren die Spanier When Nalda Became Punk, meinen Lesern bereits bestens bekannt aus dem Sendeschluss. Das Quartett hatte im Rahmen des Verbena Pop-Festivals bereits 2016 Köln bereist, allerdings im Winter. Der überraschend hochsommerliche April gefiel ihnen und ihren klimatischen Gewohnheiten viel besser. Antonio Llarena ging sogar so weit, zu versichern, die Band habe die Bitte, etwas spanisches Wetter mitzubringen, definitiv erfüllt. Darüber hinaus hatte er sich auf einem Bierdeckel auch ein paar deutschsprachige Sätze notiert, die er bei passender Gelegenheit ("Der next Song ist...") vortrug.

Aus meinem Sendeschluss kannte ich bereits "Song for Carrie Mathison" über die gleichnamige Figur aus Homeland, aber auch "Angela" dreht sich um eine von der Schauspielerin Claire Danes verkörperte Figur, nämlich Angela Chase aus My so-called Life, einer Serie, der neben Danes auch Jared Leto seine Schauspielkarriere verdankt. Überhaupt sieht man bei der Band offensichtlich viel fern, denn Elena Sestelo erzählte auch, dass im spanischen Fernsehen aktuell viele schlechte deutsche Fernsehfilme gezeigt werden, insbesondere Rosamunde Pilcher-Verfilmungen (dass deren Basieren auf englischen Romanen in Spanien offensichtlich nicht einmal wahrgenommen wird, sagt auch einiges über diese Filme aus...).


"Angela" kritisiert übrigens auch die kulturelle Tendenz, Festivals nur noch zu besuchen, um einen schicken Hintergrund für Instagram-Fotos zu haben und passende Bandshirts bei H&M zu erwerben - positiv hervor gehoben wurde im Gegensatz ein Herr aus dem Publikum, der ein Joy Division Shirt trug, in dessen Grafik sich Katzensilhouetten geschmuggelt hatten - ihm wurde der Song dann auch gewidmet.

Keyboarder Antonio Llarena  hatte übrigens bei manchen Liedern wenig bis nichts zu tun, dann tanzte er einfach ein bisschen. Einen Schlagzeuger hatten When Nalda Became Punk übrigens nicht, was mir erst auffiel, als mein Freund mich darauf aufmerksam machte - es gab nämlich ein Schlagzeug auf der Bühne, und meine Sicht war nicht gut genug, um sofort zu erkennen, dass dort gar niemand saß und die Beats vom Band kamen. Quasi ein unsichtbarer Schlagzeuger.

Setliste:

Hanging out with Imogen
Indie Pop Or Whatever
When It’ll Come
Long Before
Angela
Moderns You Should Stay Home
Song for Carrie Mathison
Big Whoop
When Nalda Became Punk
DIY
Before 5
New Year’s Day


Weiter ging es mit der "Dinner Break", einer sehr lobenswerten Einrichtung, die die Macher des At The Edge of the Sea Festivals in Brighton dringend übernehmen sollten. Eineinhalb Stunden später standen wir dann wieder am selben Ort nahe der Bühne, um The Frank and Walters zu sehen. Interessante Seitennotiz: Als mein Freund und ich uns kennen lernten, bezeichnete ich diese Band ihm gegenüber als "one hit wonder", was glaube ich beinahe dazu geführt hätte, dass er den Kontakt zu mir abbrach. Immerhin hat seine Immer-wieder-Beschallung mit den "Hits" der Band aus Cork aber dazu geführt, dass ich so ziemlich jeden Song auf der Setliste vom Hören her kannte.

Die Iren standen übrigens schon auf der Bühne, als wir vom Essen in das mehr oder weniger leere Blue Shell zurück kehrten, und Sänger Paul Linehan beeilte sich, den wenigen Anwesenden zu versichern, dass es sich um einen Soundcheck handele und man später mit mehr Energie spielen werde. Gitarrist Rory Murphy setzte in Erinnerung an den einzigen größten Hit der Band nach: "This is not a soundcheck."


Für ihren eigentlichen Auftritt zog sich die Band dann noch in einheitliche Outfits um, man trug rote Hemden mit schwarzen Krawatten. Bezüglich der Musik erkannte ich wie erwähnt erstaunlich viel und muss auch reuig anmerken, dass die musikalische Bandbreite der Band doch um einiges größer ist, als man bei ausschließlicher Kenntnis von "This is not a Song" und "After All" vermuten könnte.

Übrigens war das mein zweites Frank and Walters-Konzert, das erste fand 1993 in London statt, auch wenn ich den Auftritt mittlerweile komplett vergessen habe. Mein mir damals noch unbekannter Freund war übrigens ebenfalls vor Ort, und hätte ich mich damals für ihn wahrnehmbar despektierlich geäußert, würden wir uns heute sicherlich nicht kennen. 2043 dürfte es, wenn die zeitlichen Abstände gleich bleiben, also Zeit für mein drittes Konzert sein.

Die ersten paar Lieder des Sets vergingen ohne Wortmeldungen der Musiker, aber nach einer Weile erklärte Paul, er werde jetzt doch einmal etwas sagen, sonst käme das ja komisch rüber, und "musicians are human too". Der Reihe nach zwang er alle Bandmitglieder, etwas zu erzählen, was aber nicht immer klappte. Immerhin erfuhren wir, dass es den Musikern in Köln gut gefiel und dass sie vor dem Konzert in einem palästinensischen Restaurant gewesen waren.


Am Ende von "Colours" gab es ein paar musikalische Schwierigkeiten, da offenbar nicht alle Bandmitglieder im Kopf hatten, wie man den Song beenden könnte. Paul kommentierte das mit "Jazz". Als dann im Publikum "We are the Frank and Walters" angestimmt wurde, griff die Band die Hymne auf und baute sie spontan ins Set ein.

Vor den Zugaben gab es dann nochmals einen kleinen Dialog mit dem Publikum, in dem man zunächst Fragen hätte stellen dürfen (es kam "Who is Frank and who is Walter?" sowie "Who washes your shirts?") und in dem Paul erzählte, die Band habe extra CDs nach Deutschland geschickt, um diese am Merchandise-Stand verkaufen zu können, es seien aber sicherlich zu viele. Sie wieder mit nach Hause zu nehmen, sei aber schwierig, weil man dafür im Flugzeug Übergepäck bezahlen müsste. deshalb sollten alle Anwesenden bitte CDs kaufen und die erklärte Notlage nicht für Preisverhandlungen ausnutzen. Die erworbenen CDs könne man dann seiner Großmutter schenken, denn Großmütter seien wahrscheinlich die letzten, die noch CD-Spieler besäßen.

Setliste:

Tony Cochrane
Stages
Fashion Crisis Hits New York
Plenty Times
We are the young Men
Indie Love Song
Goddess of Athena
How Can I Exist?
Circumstance
After All
Colours
We are the Frank and Walters
This Is Not A Song
Walter's Trip
Michael


Stichwort "lange her": Hauptact des Abends war die Nürnberger Band Throw That Beat in the Garbagecan, die ich noch niemals live gesehen hatte, dafür erinnere ich mich an eines ihrer Alben, das ich noch zu Schulzeiten (also vor 1993!) gehört haben muss. Als Kassettenkopie der CD meiner Freundin. Die Formation existiert eigentlich schon lange nicht mehr, stellt sich aber höchst selten für Liveauftritte zur Verfügung - so auch am Samstag.

Der Musik von Throw that Beat stand ich schon damals eher gespalten gegenüber - ich fand die Melodien und den Gesangsstil allzu gewollt niedlich und kindlich, wenn auch durchaus angenehm und Ohrwurm-erzeugend. Um so gespannter war ich, wie man Songs wie "A chocolate bar for breakfast" mit über 50 überzeugend darbieten kann. Letztlich stellte das aber gar kein Problem dar, denn mit Mitte 20 ist man für solche Texte ja eigentlich auch zu alt... letztlich fand ich die Band live sogar ziemlich gut. Man merkte, dass alle mit Spaß bei der Sache waren, und statt Kindergeburtstag kamen als Assozisation eher die B52's auf.


Auch bei Thow That Beat hatten sich zumindest die Damen in Schale (nämlich Kleider) geworfen, Klaus Cornfield trug zumindest ein Spängchen im Haar, das er frisurentechnisch ebensowenig benötigte wie Lotsi, die auch eines hatte.

Wie gesagt, die Band gibt es eigentlich nicht mehr, und Klaus Cornfield erklärte nach einem der ersten Songs, man lebe mittlerweile von den erspielten Vermögen auf diversen Fincas. Etwas ernsthafter fügte er hinzu, eine solche Wiedervereinigung hätte er lange Zeit für unmöglich gehalten, weil "du ja ausgestiegen warst!" - er meinte Lotsi.


In der ersten Reihe des ansonsten eher grauhaarigen Publikums befanden sich zwei Kinder, die offensichtlich der Band persönlich bekannt waren, denn Klaus sagte vor "Over and Over" zu einem von ihnen "Sarah, wenn du zum nächsten Lied tanzen möchtest, kannst du gerne auf die Bühne kommen. Oder auch jede andere Sarah." Die Sarahs hatten aber offensichtlich keine Lust.

Zu "Shoot me with a Price Gun" erklärte Klaus, es handele sich um ein Lied von der letzten (schlechten, wie mein Freund mir zuraunte)  Platte "Sex Tiger", deren Titel man gewählt habe, weil er so toll klänge und man endlich mal Erfolg haben wollte - deshalb kombiniere er die beiden besten Dinge, die es gäbe.


Insgesamt schien die Abmachung zu bestehen, dass jedes Bandmitglied mindestens einmal die Hauptrolle übernehmen musste. Meistens sangen zwar Klaus und Lotsi, aber letztlich übernahm jedes Bandmitglied außer dem Bassisten einmal die Hauptgesangsstimme - Keyboarderin Iwie bei "The Fashion Train Left Me Behind", Schlagzeuger Alex Sticht bei "Let's Take a Ride" und "Save the Way" und Gitarrist Oliver Kolb bei "She came from Orion".

Da man im Blue Shell die Bühne nicht betreten oder verlassen kann, ohne durchs Publikum zu gehen, ging die Band nach "No Mercy" einfach übergangslos in den Zugabenteil über. Vor diesem erhielten wir von Klaus noch den Tipp, einfach die Augen zu schließen, damit man die alten Gesichter nicht sehen müsse, die Musik klänge dann auch wieder frischer. Seine eigenen Augen tränten zwischenzeitlich ganz ordentlich, denn im Publikum waren von Fans etliche Wunderkerzen verteilt und angezündet worden - gut, dass das Blue Shell offenbar keine empfindlichen Rauchmelder hat.


Im Zugabenteil merkte man am meisten, dass die Band an ihrer eigenen Reunion sehr viel Spaß hatte, die Mitglieder brachten nämlich nun selbst Wünsche ein, die dann auch trotz des Einwurfes "Das haben wir aber nicht geprobt" enthusiastisch gespielt wurden. So gab es dann auch stolze sechs Zugabensongs, bevor das Konzert doch noch endete.

Setliste:

A kiss from you each day
Cool
When she sings
Chocolate bar for breakfast
Over and over
Let’s take a ride
Just 16
Shoot me with a price gun
I dedicate my life to you
Some alien...
The fashion train left me behind
Lotsi go go
Talking about love
Je pense toujours a toi
Save the Way
Let me sit next to Iwie
She came from planet Orion
No mercy

Thanks for knocking
Let’s get into it
Red go cart
Under Water
I won’t give up
Funny how love is


Festival-Fazit: Eine angenehme Reise in die Vergangenheit für Bands und Publikum - am Vorabend hätte man ja bereits die Wiedervereinigung der Band Ralley bezeugen können - kombiniert mit interessanten, unbekannteren Acts. Eine Fortsetzung im nächsten Jahr wäre zu begrüßen.


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